Appsolute Mobility - das Gründerinnenteam (im Bild: Victoria von Wachtel und Alexandra Kulfanova)

Speed-Dating und Wasserrohrbruch – eine wilde Geschichte vom Gründen

Alexandra Kulfanová und Victoria von Wachtel haben Anfang 2016 das Tech-Start-Up APPsolute Mobility gegründet. Mit ihrem individualisierbaren App-Baukasten gehören sie zu den Pionierinnen im Rapid Mobile App Development (RMAD). Gut 30 Mitarbeiter*innen beschäftigen sie heute an ihren Standorten in Nürnberg und Erfurt, sowie im Ausland. Im TAB-Interview plaudern sie über ihre ersten Jahre, ihre ersten Erfolge und warum ein Eimer und ein Lappen manchmal den entscheidenden Erfolg bringen können.

Appsolute Mobility - Victoria von Wachtel

Victoria von Wachtel

Die Österreicherin Victoria von Wachtel ist bei APPsolute Mobility zuständig für Produkt, Finanzen und Recht. Sie gründete bereits 2000 eine Digital-Agentur gemeinsam mit Ihrem Mann, aus der später dann auch die APPsolute Mobility entstanden ist. „Die Hauptmotivation war, dass wir unsere eigenen Gedanken umsetzen wollten. Ich hatte immer das Gefühl, dass da, wo man grad beschäftigt ist, gebremst wird.“ Schon früh beschäftigten sie sich mit Themen wie Sprachtechnologie. „Wir haben ein Auto ausgestattet, das sprechen konnte, um dem Beratungsverbot durch Verkäufer an verkaufsoffenen Sonntagen entgegen zu wirken. Aber wir haben eins gelernt: Wir waren immer zu früh dran mit unseren Ideen. Wir hatten die Innovation, aber um diese kommerziell nutzen zu können, braucht es einen langen Atem.“

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Appsolute Mobility - Alexandra Kulfanová

Alexandra Kulfanová

Alexandra Kulfanová ist verantwortlich für Vertrieb, Marketing und Services. Sie stammt aus der Slowakei und hat nach dem BWL-Studium in Deutschland viele Jahre als Marketing Direktorin gearbeitet. Die ersten Erfahrungen sammelte sie bei einem Markenhersteller, dann wechselte sie in die IT-Branche. „Zu dieser Zeit herrschten in der IT in Sachen Marketing Neandertaler-Zustände. Marketing waren die, die Visitenkarten drucken lassen. Da hatte ich viel Arbeit vor mir.“ Zuletzt war Alexandra Kulfanová über sechs Jahre in einem IT-Start-up tätig. „Da habe ich auch festgestellt: Das Aufbauen, das ist das, was mir Spaß macht, da bin ich zu Hause, da bin ich gut drin.“

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Wie haben Sie sich kennengelernt?

Alexandra Kulfanová: Victoria war damals im Pitch bei dem Start-up, wo ich tätig war. Wir brauchten unter anderem eine App. Sie hat sich durchgesetzt mit ihrer Digital Agentur. So entstand auch der Gedanke für APPsolute Mobility: Weil ich zu geizig war, ständig so viel Geld für Entwickler auszugeben. Ich dachte, es muss doch auch Content Management Systeme für Apps geben. Aber das gab es damals, so um 2010, noch nicht. Und Victoria, das ist ihre Stärke, hat sofort verstanden, worum es geht und was das für Potenzial hat.

Victoria von Wachtel: Für mich war das ein Traum, diese Zusammenarbeit mit Sascha (Anm. d. Red.: Sascha ist eine Kurzform für Alexandra). Es war eine Spielwiese zum Austoben. Endlich jemand, der Lust hat auf neue, innovative Ideen. Apps waren damals tatsächlich noch Neuland; wir waren die ersten. Keiner wusste wirklich: Was mache ich eigentlich mit diesem Tablet, das ich habe? Wie soll ich das als Mehrwert fürs Business verwenden?

Die App, die wir damals gebaut haben, war für Messen. Und hier wurde klar: Es ist zu teuer und dauert zu lang, wenn jede Änderung ein Entwickler machen muss. Also haben wir den ersten Schritt gesetzt zu unserer IT-Plattform. Mein Mann und ich wussten damals noch nicht mal, dass die Idee zur ersten RMAD Plattform in Deutschland geboren war.

Wie ging es dann weiter?

Victoria von Wachtel: 2015 haben wir beschlossen, dass das ein Produkt ist, das viel zu schade ist, um es nebenher zu betreiben. Wir haben dann gemeinsam angefangen Fremdkapital zu suchen. Zuerst im kleinen, privatesten Umfeld. Privat meine ich nicht, weil wir jeden gekannt haben, sondern dass es sehr kleinteilige Summen waren. Aber wir waren höchst fleißig! Wir hatten so viel Glück, dass wir die richtigen Leute gefunden haben: Mit sehr, sehr viel Markterfahrung und mit guten Netzwerken. Wir haben auch nichts ausgelassen, was es an Förderungen und Unterstützungen gibt. Ich bin seit 20 Jahren als Unternehmerin am Markt und habe die Agentur gemeinsam mit meinem Mann selbst finanziert. Das heißt, man überlegt sich zehnmal, ob man den Euro ausgibt oder nicht.

Was ist das Geschäftsmodell von APPsolute Mobility?

Alexandra Kulfanová: Der Grundgedanke ist ein Content Management System für Apps. Wir haben ein klassisches Software as a Service Modell. Der Kunde muss nichts installieren, sondern sich nur einloggen. Im Redaktionssystem – wir sagen dazu Cockpit – kann er seine App erstellen, mit einem einzigen Schritt in die mobilen Geräte publizieren und loslegen. Die Mehrheit unserer Kunden - weit über 90 Prozent – haben einen Jahresvertrag bei uns. Wir verbinden das Gute aus zwei Welten: die Vorteile einer Standardlösung mit den Mehrwerten einer Individual-Lösung. Dank des Baukastens und unseres Ansatzes, mit Customizing und Whitelabel-App Erstellung können wir so sehr gut auf den individuellen Bedarf bei unseren Kunden eingehen..

Victoria von Wachtel: Speziell bei Enterprise Kunden ist es wichtig, dass sich Lösung an die Benutzer anpasst und nicht anders herum. Wenn ich heute einen Workflow im Unternehmen kenne, möchte ich natürlich, dass meine App auch so funktioniert. Neben diesen individuellen Lösungen und dem Standard-Baukasten gibt es auch noch ein drittes Segment. Wenn jemand nur einen einzigen Use Case hat, dann kann er das mittels in-App-Purchase auch sehr günstig im Store tun. APPsolute Mobility hat eben für jeden was anzubieten.

Sie sind auch über unsere Beteiligungstochter bm|t finanziert. Wie kam es dazu?

Victoria von Wachtel: Das war eine lustige Geschichte! (lacht)

Alexandra Kulfanová: Kennengelernt haben wir die bm|t bei einem Speed-Dating Event für Investoren.

Victoria von Wachtel: Unser erstes Speed-Dating – aber Gott sei Dank nur für Investoren! Wir hatten uns dort beworben und wurden eingeladen.

Alexandra Kulfanová: Das war echt spannend: Wir sind von Tisch zu Tisch gezogen und hatten immer sieben Minuten Zeit, um uns zu präsentieren und Fragen zu beantworten.

Victoria von Wachtel: Man geht hin. Zack, redet. Dann kurze Fragerunde. Dann GONG, nächster Tisch. Das haben wir natürlich so überhaupt noch nicht gekannt. Wir kennen den Elevator Pitch und diese ganzen Geschichten. Aber dieses Format war neu für uns.

Alexandra Kulfanová: Über den Weg haben wir Cornelia Böse von der bm|t kennengelernt. Das war 2017. Dann gab es weitere Gespräche und im Mai 2018 war alles unter Dach und Fach.

Appsolute Mobility - Victoria von Wachtel

Als Unternehmer braucht man eben wirklich gute Nerven.

– Victoria von Wachtel

Welcher Moment in der Gründungsphase ist Ihnen so besonders in Erinnerung geblieben?

Victoria von Wachtel: In der Gründungsphase? Oh Gott! (überlegt kurz) Doch einen weiß ich.

Alexandra Kulfanová: Ja, dann schieß mal los.

Victoria von Wachtel: Ich schau mal auf den Boden.

Alexandra Kulfanová: Oh Gott, ja! (lacht)

Victoria von Wachtel: Einer unserer Business Angels hatte uns einen Kontakt gemacht zu einem wirklich sehr gut vernetzten Menschen unserer Region, den wir als Investor gewinnen wollten: Prof. Dr. Klaus Wübbenhorst. Seinerzeit Vorstandsvorsitzender verschiedener Unternehmen, immer in top Positionen. Und wir bekamen einen Termin, gingen hin, nicht ahnend, was uns gleich erwarten würde. Wir läuten also an der Tür, er öffnet, schaut dabei aber auf den Boden und sagt laut „Sch….“. (beide lachen) Und wir folgten seinem Blick und dann verstanden wir. Der ganze Boden war überschwemmt. Er hatte einen Wasserrohrbruch im Büro. Also sagten wir: „Grüß Gott!“ und dann sofort: „Wo sind Eimer und Lappen?“. Und dann haben wir erstmal Schadensbeseitigung betrieben. (lacht)

Er hat uns viel später gesagt, dass ihn schon beeindruckt hat, dass da zwei Frauen kommen, die einfach hinlangen. Hier ist ein Problem. Zack, da wird nicht diskutiert. Und es war natürlich ein Icebreaker. Er ist schon ein Mann, der andere vielleicht etwas einschüchtert und hat ja auch eine entsprechende Position.

Alexandra Kulfanová: Ja, an dem Tag mussten wir zwar unseren Pitch etwas kürzen, dafür durften wir bei einem Folgetermin das dann entsprechend nachholen. Und jetzt ist er bei uns im Beirat.

Was waren Wendepunkte, wo es auch hätte schiefgehen können? Wo Sie im Nachhinein dachten: Gut, dass ich so entschieden habe?

Alexandra Kulfanová: Gefühlt ununterbrochen! (lacht)

Victoria von Wachtel: Man muss situationselastisch sein! (lacht) Doch es gab so eine Situation. Wir wollten ein Gründungsdarlehen aufnehmen und hatten sehr gute Gespräche mit der Bank. Es waren wirklich gute Termine – die Bank ist heute auch Kunde von uns. Aber der Knackpunkt war folgender: Wir hatten da ein bestimmtes Darlehen im Auge. Es war schon alles besprochen. Für uns war klar: Das klappt, das machen wir so.

Alexandra Kulfanová: Aus unserer Sicht war alles verhandelt. Fertig. Wir gehen hin, um zu unterschreiben.

Victoria von Wachtel: Man muss voranstellen: Jedem muss klar sein, dass man als Unternehmer immer gefordert ist, selbst zu bürgen. Auch das war bereits verhandelt. Und dann lesen wir auf einmal im Vertrag, dass wir die komplette Summe jeweils besichern sollen.

Alexandra Kulfanová: Also doppelt und die komplette Summe. Also was ganz anderes als das, was wir bis dahin die ganze Zeit verstanden haben.

Victoria von Wachtel: Das war einen kurzen kleinen Herzinfarkt wert. Wir sind Leute, die sich was zutrauen und daran glauben, keine Frage. Aus dem Grund haben wir auch eine Bürgschaft. Aber dieser Umfang war völlig was anderes. Jede von uns hat Familie. Da muss man schon überlegen: Wo ist mein Risikodeckel? Es war ein Schock, dass wir uns in einem so wichtigen Punkt hatten missverstehen können. Das Ende vom Lied war, dass wir es dann doch hingekriegt haben mit den Konditionen, die wir davor vereinbart hatten.

Alexandra Kulfanová: Wir haben erst viel später verstanden, dass wir wahrscheinlich die einzigen sind, die jemals so eine Vereinbarung getroffen haben. Denn diese doppelte Absicherung ist am Markt gar nicht so unüblich. Aber für uns war klar: Das unterschreiben wir nicht. Und wenn das nicht geklappt hätte, dann hätte es die Firma so nicht gegeben.

Victoria von Wachtel: Als Unternehmer braucht man eben wirklich gute Nerven.

Appsolute Mobility - Alexandra Kulfanová

Wir schauen optimistisch in die Zukunft. Es gibt auch viele, die jetzt erst sehen, welche Vorteile digitalisierte Prozesse haben.

– Alexandra Kulfanová

Was macht Corona mit Ihnen?

Victoria von Wachtel: Rein organisatorisch war es für uns kein Problem, weil wir sowieso digital arbeiten, mit verteilten Teams, einige Remote. Wir haben unsere Leute schon vor dem Lockdown ins Homeoffice geschickt. Wirtschaftlich merken wir die Auswirkungen schon. Wir haben viele Kunden aus dem Bereich Personaldienstleistungen. Und Zeitarbeiter kommen häufig in der Automobilbranche zum Einsatz und generell, wenn die Wirtschaft brummt. Diese Branche ist natürlich massiv unter Druck und dementsprechend haben wir auch Einbußen gehabt. Es gibt Kunden, die stoppen erst einmal alles. Natürlich laufen Lizenzen weiter, aber große Customizing-Projekte verzögern sich.

Alexandra Kulfanová: Das Jahr fing perfekt an und wir hatten ein entsprechendes Umsatzwachstum avisiert. Dann kam Corona und der Budget-Freeze. Aber wir sehen auch: Alle sind in Warteposition und wollen loslegen, sobald sie Budgets frei bekommen. Wir schauen optimistisch in die Zukunft. Es gibt auch viele, die jetzt erst sehen, welche Vorteile digitalisierte Prozesse haben.

Suma Sumarum merkt man aber, dass das Thema Digitalisierung bislang noch keinen ausreichenden Stellenwert angenommen hatte, was jetzt durch die Krise bestimmt jedem bewusst geworden ist.

Gegründet haben Sie in Nürnberg. Wie gefällt es Ihnen hier in Thüringen?

Alexandra Kulfanová: Wir sind sehr froh, die bm|t an unserer Seite zu wissen. Sie hat zu einem Zeitpunkt in unser Unternehmen investiert, wo es in Deutschland oder auch bei uns in Bayern nicht viele machen. Die meisten gehen entweder sehr früh rein oder dann erst wieder, wenn man ein paar Millionen Euro Umsatz hat. Dazwischen gibt es nicht viel. Das ist aber genau die kritische Zeit einer Unternehmensgeschichte. Auch die Vernetzung und die partnerschaftliche, persönliche Unterstützung durch die bm|t ist toll.

Victoria von Wachtel: Ich muss sagen, es hat mich schon extrem positiv überrascht, wie eng und herzlich diese Beziehung mit der bm|t ist. Wir haben zum Beispiel einige Fachkräfte aus Afrika mit der Blue Card nach Thüringen geholt. Und es stellte sich heraus, dass Kevin Reeder (Anm. d. Red. Geschäftsführer der bm|t) dort eine Zeit lang gearbeitet hat. Er hat die Leute dann direkt in seiner offenen, sympathischen Art zu sich nach Hause eingeladen. Man merkt einfach: Wir sind nicht nur ein Konstrukt, in das man investiert und wo man nur auf die Reports wartet.

Alexandra Kulfanová: Das hat damals auch gut gepasst mit der bm|t und Thüringen, weil wir in Wachstum waren und sowieso ein neues Büro brauchten. Wir hatten ein bisschen mehr Hoffnung gehabt, hier auch Arbeitskräfte anwerben zu können. Aber das ist inzwischen auch in Thüringen sehr schwierig, weil es hier so viele andere Unternehmen gibt. Der Markt für IT-Fachkräfte ist leer. Aber das ist überall so.

Brauchen Gründerinnen mehr weibliche Vorbilder?

Victoria von Wachtel: Ich kann natürlich nicht für andere sprechen, sondern immer nur aus der eigenen Perspektive. Ich habe nie ein Vorbild gebraucht. Entweder man ist jemand, der getrieben ist und was machen will - oder man ist es nicht. Ich ärgere mich persönlich über das Thema Frauenquote, weil ich immer das Gefühl habe, man wird mit der Behinderten-Quote gleichgesetzt. Ich sage immer, wer was erreichen will, kann es auch erreichen. Es gibt schon Punkte, wo man polarisiert und wo man sich durchsetzen muss. Aber ich glaube, das sind keine Hemmschwellen. Ich begrüße natürlich, je mehr Frauen kommen. Wir arbeiten extrem gern mit Frauen zusammen. Frauen haben eine wahnsinnig hohe Professionalität. Viel wichtiger als eine Frauenquote wäre aber aus meiner Sicht gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit!

Alexandra Kulfanová: Für mich ist das Thema Emanzipation selbstverständlich. In der Tschechoslowakei zu dem Zeitpunkt, wo ich groß geworden bin, war es normal, dass meine Mama arbeitet. Und das war bei allen anderen genauso. Erst als ich dann in Deutschland Mutter geworden bin, habe ich festgestellt, dass es hier anders ist. Da habe ich gehört: „Oh, du tust mir leid, dass du wieder arbeiten gehen musst!“ Das war für mich komplett gegen mein Weltbild.. Ich finde es super wichtig, wenn mehr Frauen in Management sind und vor allem wenn sie Unternehmen gründen. Da steckt viel Potential drin und die Welt wird noch bunter. Und wenn dafür weibliche Vorbilder nötig sind, dann unterstütze ich es.

Was sind Themen, die in nächster Zeit anstehen?

Victoria von Wachtel: Wir suchen einerseits aktuell einen Investor für die Wachstumsphase. Dann wollen wir uns jetzt stärker in Forschung und Entwicklung aufstellen. Bislang haben wir zwar viel geforscht und entwickelt, aber nie ein Forschungsprojekt eingereicht. Das wollen wir jetzt machen. Wir beschäftigen uns mit dem Thema Bedienerfreundlichkeit mithilfe von Sprachtechnologie. Ein Teil davon ist Natural Language Processing kombiniert mit dem Einsatz von KI. Sprich: Da haben wir schon einiges vor.

Vielen Dank für das Gespräch!

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