Thüringer Software für gesündere Mitarbeiter in Südafrika

Das #TABinterview mit Sebastian Gerecke

Aturis_Sebastian Gerecke

Der Nordhäuser IT-Spezialist Aturis entwickelt individuelle Softwarelösungen für unterschiedlichste Branchen. Ursprünglich im Bereich der Schlafforschung gestartet, ist man heute international aktiv und gehört zu den gelisteten Partnern eines deutschen Großkonzerns. Im #TABinterview gewährt uns Firmeninhaber Sebastian Gerecke interessante Einblicke in die Digitalisierungsprojekte seiner Kunden.

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Herr Gerecke, Sie leiten seit mittlerweile fast 20 Jahren erfolgreich ein IT-Unternehmen mit aktuell rund 30 Mitarbeitenden. Wie fing damals alles an?

An der Hochschule Schmalkalden habe ich damals noch als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet und ein E-Businesszentrum im Bereich E-Commerce gegründet. Drei Jahre später habe ich mich dann im Jahr 2004 selbständig gemacht. Der Ursprungsgedanke war mal, eine Doktorarbeit zu schreiben, und zwar zu den Themen Schlafforschung, Schichtplanoptimierung, künstliche Intelligenz und Optimierungsalgorithmen. Das erworbene Forschungswissen kam mir dann später zugute, auch wenn es zunächst einmal darum ging, den Start in die Selbstständigkeit erfolgreich zu meistern.

Wie verlief dieser Start in die Selbstständigkeit?

Dies gelang zunächst ganz gut nach dem Prinzip „Bauchladen“, mit verschiedenen Dienstleistungen und Produkten. Neben kleinen IT-Aufträgen in der Region konnten wir auch erste Forschungsprojekte im Ausland realisieren. Dort lag der Schwerpunkt auf der Schichtplanoptimierung, die mithilfe der Daten aus der Schlafforschung erfolgte. Das heißt, gesunde Schichtpläne zu entwickeln, die auf die Schlafgewohnheiten der Mitarbeiter abgestimmt sind und zu geringeren Unfall- und Krankzeiten führen sollen.

Hier erfolgte auch der erste Kontakt zur Thüringer Aufbaubank. Dabei konnten wir von Anfang an eine großartige Unterstützung im Zuge einer Personalförderung im Bereich Forschung und Entwicklung erfahren. Dadurch waren wir auch in der Lage, Stipendien für Informatikstudenten zu vergeben, die dann auch zur langfristigen Einstellung geführt haben.

Wie sieht das Geschäftsmodell heute aus, welche Bereiche sind entstanden?

Wir haben uns auf Softwareentwicklung im Individualbereich spezialisiert. Das heißt, der Kunde kommt mit einer Idee, die sich nicht mit Standardsoftware umsetzen lässt. Aturis erstellt dann ein Konzept, das zusammen mit dem Kunden realisiert wird. Das Produkt wird langfristig durch uns begleitet und weiterentwickelt. Zu unserem Kundenstamm zählt der kleine Mittelständler bis zum Großkonzern; hier sind wir zum Beispiel seit kurzem offiziell gelisteter Partner eines großen deutschen Konzerns. Die Prozesse spielen sich häufig in verteilten Standorten oder Teams der Unternehmen ab. Beispiele wären der klassische Außendienst oder verschiedene Montageteams, wo überall und zu jeder Zeit viele Informationen fließen müssen, um einen reibungslosen Ablauf gewährleisten zu können. Zwei mittelständische Thüringer Fensterbauer vertrauen beispielsweise seit Jahren in unser Know-How und sie konnten damit ihre Strukturen noch professioneller und erfolgreicher aufstellen. Nach wie vor sind wir auch in anderen Bereichen wie der App-Programmierung aktiv, der digitale Abfallkalender der Landeshauptstadt Erfurt wurde zum Beispiel von uns entwickelt. Mittlerweile können wir auf Erfahrungen in nahezu allen Branchen verweisen, die Prozesse und Anforderungen gleichen sich aus meiner Sicht dabei recht häufig.

Aturis_Sebastian Gerecke

Egal welche Branche, beim Blick hinter die Kulissen kommen immer wieder die gleichen Probleme bei der Digitalisierung zum Vorschein.

– Sebastian Gerecke

Wo sehen Sie gerade im Mittelstand beim Thema Digitalisierung den größten Bedarf?

In den letzten Jahren habe ich mehrere hundert Unternehmen beraten und konnte tief in die Strukturen blicken. Dabei kommen immer wieder die gleichen Probleme bei der Digitalisierung zum Vorschein. Ein Beispiel: Die IT-Abteilung hat sich auf technische Strukturen spezialisiert und die Fachbereiche sind ihren Prozessen vertieft, das „Dazwischen“ fehlt jedoch häufig. Für diese Lücke gibt es in modernen Firmen eine eigene Personalstelle, die sich „Chief Digital Officer“ nennt. Dieser Ansprechpartner ist jedoch häufig gar nicht vorhanden, wäre aber dringend notwendig.

Wir setzen uns dann gemeinsam mit der Geschäftsführung hin und analysieren die IT-Infrastruktur des jeweiligen Hauses, um Wege und Mittel zu finden. Hier kommt dann häufig auch das Thema Forschung ins Spiel. Wenn gewünscht, bietet Aturis den kompletten Service von der Idee bis zur Umsetzung und dem Vertrieb, das heißt, wir übernehmen dann vorübergehend auch die Rolle der nicht vorhandenen Digitalisierungsexperten.

Der erste Kontakt zur Aufbaubank kam ja schon in einer frühen Unternehmensphase zustande, wie sieht es heute aus?

Ich empfinde die Zusammenarbeit mit der TAB als sehr professionell, es wurden immer Mittel und Wege zur Unterstützung gefunden. Vom allerersten Kontakt bis hin zur Auswahl des richtigen Programms stand der Dienstleistungscharakter im Vordergrund, bspw. wurden wir immer rechtzeitig an wichtige Fristen erinnert.

Mittlerweile konnte dank der Förderung über die Programme „Innovatives Personal“ (FuE-Personal-Richtlinie) sowie GRW (Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur") die langfristige Einstellung von fast 10 Mitarbeitern ermöglicht werden. Dank der Unterstützung sind wir in der Lage, auch höhere Löhne zu zahlen, um Fachkräfte im heiß umkämpften IT-Sektor zu halten oder anzulocken.

Wie finden Sie neue IT-Mitarbeitende, insbesondere in einer Region wie Nordhausen?

In den letzten Jahren konnte Aturis weiterwachsen, das geht natürlich nur mit fähigen Mitarbeitern. Wir sind hier in der Region einer der größten IT-Dienstleister und das spricht sich rum. Nordhausen hat definitiv auch Standortvorteile gegenüber größeren Städten wie z.B. günstigen Wohnraum. Sie werden es nicht glauben, aber obwohl wir so gut wie kein Personalmarketing betreiben, erhalten wir zahlreiche Bewerbungen. Einen großen Vorteil sehe ich in der abwechslungsreichen Aufgabenvielfalt in unserem Haus. Das lockt Entwickler und Programmierer an, die in Großunternehmen häufig immer nur die gleichen Produkte und Prozesse bearbeiten müssen. Die Anreize werden also auch durch die Arbeitsinhalte gesetzt, die individuellen Projekte unserer Kunden findet man eben selten in größeren Strukturen.

Wie stehen Sie zum Thema Home-Office und inwiefern spielt das eine Rolle bei der Fachkräftesuche?

Home-Office ist ein großer Trend, erst recht im IT-Bereich. Für unser Haus haben wir aber festgestellt, dass dies gar kein so wichtiges Thema ist. Die Produktivität und der Zusammenhalt der Teams vor Ort ist sehr hoch und wir haben kurze Wege. Außerdem gibt es strikte Arbeitszeitvorgaben, so gut wie keine Überstunden und gute Vertretungsregelungen. Das ist im Home-Office nicht immer gegeben.

Verliert man bei der Vielzahl an unterschiedlichen Projekten und Branchen in Ihrem Kundenstamm nicht irgendwann den Überblick?

Spezialisierung ist immer gut, aber wir tun uns schwer, bestimmte Aufgabenbereiche abzugeben. Daher lautet der Plan, dem Unternehmen eine andere Struktur zu geben, wobei es verschiedene Optionen dafür gibt. Zum Beispiel, dass die Schwerpunkte ausgegliedert und die Experten entsprechend der Themen verteilt werden. Der Prozess hat schon begonnen, mit der Auslagerung des Datenschutzes. Ein weiterer Schwerpunkt wird die Schichtplanoptimierung sein. Aber auch das ganze Thema Digitalisierungsberatung wird zunehmend wichtiger. Durch fehlendes Know-How und Personalmangel bei der Ausschreibung neuer Projekte und Anwendungen kommt es häufig zu langen Verzögerungen bei der Neuausrichtung von Unternehmen und Behörden.

In Thüringen gibt es ja mittlerweile eine gute Vernetzung in der IT-Branche, wie wichtig ist das für Sie?

Wir sind Mitglied im Verbund IT-Net Thüringen. Dieses Branchen-Sprachrohr wird mittlerweile gern angehört und eingebunden. Das ist gerade für so ein kleines Bundesland eine sehr gute Austauschplattform und fördert Synergien. Hier im Norden organisieren wir außerdem ein regelmäßiges IT-Leitertreffen. Der Informationsaustausch über solche Netzwerke ist Gold wert, mit Fachvorträgen halten wir uns stets auf dem Laufenden.

Zurück zur Schlafforschung, das Thema lässt Sie ja scheinbar nicht los?

Das ist korrekt, in der Schichtplanoptimierung haben wir sozusagen Pionierarbeit geleistet und es gibt aus meiner Sicht weltweit kaum Konkurrenz. Aktuell setzen wir ein Projekt in einer südafrikanischen Mine mit rund 3.000 Mitarbeitern gemeinsam mit amerikanischen Partnern um. Der Anteil der sogenannten risikohaften Schichten konnte dadurch bereits erheblich gesenkt werden. Übergeordnetes Ziel ist eine hohe Produktivität, resultierend aus gesünderen Mitarbeiter und weniger Arbeitsunfällen. Mitarbeiter ohne den „Jetlag“ aus falsch zusammengestellten Schichten sind einfach insgesamt zufriedener.

Vielen Dank für das Interview!

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